12.08.2013
Teotihuacán
Teotihuacán ist eine ehemalige Stadt im mexikanischen Bundesstaat México. Die heutige Ruinenstätte liegt in der Nähe der heutigen Stadt San Juan Teotihuacán mit etwa 45.000 Einwohnern und befindet sich etwa 45 Kilometer nordöstlich von Mexiko-Stadt. Sie weist einige bemerkenswerte Stufentempel auf, vor allem die große Sonnenpyramide.
Das Stadtgebiet war bereits seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert permanent besiedelt. Zwischen 100 und 650 nach Christus war Teotihuacán das dominierende kulturelle, wirtschaftliche und militärische Zentrum Mesoamerikas. Auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung besaß die Stadt möglicherweise bis zu 200.000 Einwohner und war damit zu ihrer Zeit die mit Abstand größte Stadt des amerikanischen Kontinents und eine der größten Städte der Welt. Ab etwa 650 begann ihr Einfluss zu schwinden, bis die Stadt um 750 schließlich aus noch nicht vollständig geklärten Gründen weitgehend verlassen wurde. In Zentralmexiko hielten sich jedoch kulturelle Einflüsse noch bis zur spanischen Eroberung Mexikos.
Die Azteken, die bei ihrer Einwanderung ins Hochland von Mexiko Teotihuacan als bereits seit mehreren Jahrhunderten verlassene Ruinenstadt vorfanden, sahen in ihr einen mythischen Ort und benannten sie mit dem bis heute fortlebenden Namen Teotihuacan (Tēotīhuacān) Sie verstanden diesen Namen als wo man zu einem Gott wird.
Die Stadt wird seit der Zeit der Ankunft der ersten Spanier erforscht, professionelle Ausgrabungen finden jedoch erst seit etwa 1900 statt. Das Fehlen schriftlicher Hinterlassenschaften erschwerte die Forschungsarbeiten in nicht geringem Maße und bewirkte, dass viele Erkenntnisse nur durch Interpretation von Funden gewonnen werden können. Teotihuacán gehört seit 1987 zum Weltkulturerbe der UNESCO.
Lage und naturräumliche Voraussetzungen
Die Ruinenstätte befindet sich in Zentralmexiko, nordöstlich des Tales von Mexiko im Tal von Teotihuacán. Dieses umfasst ein Gebiet von gut 500 bis 600 Quadratkilometern und wird im Norden durch mehrere erloschene Vulkane sowie im Süden durch eine Gebirgskette mit Bergen von bis zu 2800 Metern Höhe begrenzt. Durchflossen wird das Tal vom Río San Juan, der saisonal durch mehrere kleinere Quellen gespeist wird und heute in den Xaltocan-See mündet.
Im Tal von Teotihuacán herrscht ein warmgemäßigtes Klima; zwischen 1921 und 1968 wurde ein durchschnittlicher Jahresniederschlag von 550 Millimetern pro Jahr und eine Jahresdurchschnittstemperatur von 14,8 Grad Celsius gemessen.Der Winter beginnt üblicherweise im Oktober und kann bis in den Mai hinein andauern. Danach beginnt die bis Oktober dauernde Regenzeit, wobei der größte Teil des Regens in den Sommermonaten fällt.
Für die Landwirtschaft ist das Tal nur bedingt geeignet. Während der Ostteil vor allem flachgründige Böden aufweist und kaum Wasser vorhanden ist, gibt es im Westteil tiefergehende Alluvialböden, und der San Juan führt hier aufgrund einiger Quellen ganzjährig Wasser. Daneben gibt es in unmittelbarer Nähe aber auch größere Vorkommen von nutzbaren Rohstoffen, etwa Obsidian (vor allem am Ostrand des Tales), Kalkstein, Tonminerale und mehrere Arten von Vulkangestein. Die Flora bestand vermutlich aus Wäldern mit Eichen und Zypressen in den feuchteren sowie verschiedenen Sträuchern in den trockeneren Gebieten.An für den Menschen nutzbarer Fauna existierten mehrere Hasen- und Kaninchenarten, Nagetiere, Vögel, Reptilien sowie eine Hirschart, der Weißwedelhirsch.
Im Museum von Teotihuacán ausgestelltes Modell einer Rekonstruktion des Stadtzentrums: Sonnenpyramide (rechts), Mondpyramide (links im Hintergrund) sowie die „Straße der Toten“. Hier nicht zu sehen ist die etwas weiter südlich ebenfalls an der Straße der Toten gelegene Ciudadela. (Blick in Richtung Nordosten)
Die Stadt Teotihuacán nahm auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung eine Fläche von mehr als 20 Quadratkilometern ein. Die Anlage der Stadt erfolgte auf der Grundlage einer Rasteranordnung, die genauestens befolgt wurde. So wurde etwa auch der Río San Juan, der die Stadt durchfließt,
durch Kanalisierung dem Raster angepasst.
Die Hauptachse der Stadt bildet die sogenannte Straße der Toten (in Nahuatl: miccaotli), die die Stadt mit einer Abweichung von 15° 30′ nach Osten in Nord-Süd-Richtung durchzieht, jedoch nicht durchgehend, da sie immer wieder durch Treppendämme unterbrochen wird. Das nördliche Ende der Straße bildet die Mondpyramide mit dem ihr vorgelagerten Platz und dem anliegenden Quetzalpapalotl-Palast. Im Süden läuft sie am Großen Komplex (Great Compound) und dem diesem gegenüberliegenden Tempel des Quetzalcoatl vorbei auf den Berg Cerro Gordo zu, auf dessen Gipfel ein Tempel errichtet war. Dort befindet sich auch der große Hofkomplex, die ciudadela (Zitadelle), in der möglicherweise die Herrscherfamilie oder deren direkte Untergebene lebten. Dazwischen wird die Straße von zahlreichen Gebäuden flankiert, die man aufgrund des großen Aufwandes, mit dem sie ausgestattet und errichtet waren, für Wohnbauten der herrschenden Eliten hält.
Das Zentrum der Stadt bildet die Sonnenpyramide, nach der Großen Pyramide von Cholula die zweitgrößte Pyramide des amerikanischen Kontinents. Vor ihr befindet sich die plataforma adosada (zu deutsch etwa „angeschlossene Plattform“), die als Zeremonialplatz gedient haben könnte. Die Zone, in denen sich die größten Pyramiden sowie die oben erwähnten Wohnhäuser der Oberschicht befanden, waren durch eine Mauer von der übrigen Stadt abgetrennt. Die meisten Gebäude außerhalb davon wurden als sogenannte Apartment-Compounds identifiziert, große Wohnkomplexe, die für mehrere Familien ausgelegt waren. Sie waren jeweils in Gruppen (barrios, spanisch für Wohnviertel) zusammengeschlossen, die sich wiederum um einen größeren Compound gruppierten, der einen eigenen Tempelkomplex besaß. Es gab auch Viertel, die von Angehörigen anderer Völker bewohnt wurden, so etwa von Zapoteken, Mixteken und auch Maya.
Im Nordwesten Teotihuacáns befand sich einer der ältesten Teile der Stadt, mit einer verhältnismäßig hohen Bevölkerungsdichte und vielen Tempeln aus der Frühzeit der Stadt. Der Südwesten war dagegen eher spärlich besiedelt, da sich dort der größte Teil der in direkter Umgebung der Stadt angelegten bewässerten Felder befand. Im Osten war Landwirtschaft aufgrund des zuvor geschilderten Wassermangels kaum möglich.
Sonnenpyramide
Die Sonnenpyramide liegt im Zentrum Teotihuacáns. Mit einer Grundfläche von 222 mal 225 Metern, einer Höhe von gut 65 Metern sowie einem Volumen von rund einer Million Kubikmetern ist sie die drittgrößte Pyramide der Welt. Sie wurde um 100 nach Christus in einem Arbeitsgang errichtet und war damit das erste größere Gebäude, das in Teotihuacán gebaut wurde. Ihren heutigen Namen erhielt sie von den Azteken.
Die Pyramide besitzt heute fünf Stufen; ursprünglich waren es nur vier. Der archäologische Laie Leopoldo Batres versuchte 1906 bei der Freilegung, die Pyramide zu restaurieren und ging dabei von der Existenz von fünf Stufen aus. Tatsächlich entstand die heutige fünfte Stufe überhaupt erst durch Batres' Arbeiten aufgrund dieser Annahme. An der Seite, die zur Straße der Toten weist, führt eine Treppe über die an der Pyramide angeschlossene plataforma adosada auf die Spitze. Dort befand sich ein kleiner Tempel, der heute nicht mehr zu sehen ist. In ihrem Kern besteht die Pyramide aus Adobe und Basalt, während die Außenhaut mit Stuck überzogen und bemalt war, wovon heute aber nichts mehr erhalten ist.
1968 wurde der Eingang einer Höhle entdeckt, die unter die Sonnenpyramide führte. Dort wurden neben Artefakten aus der Zeit Teotihuacáns auch Gegenstände aus aztekischer Zeit gefunden. Da außerdem in späteren mesoamerikanischen Religionen Höhlen immer wieder als Orte der Schöpfung galten, wird davon ausgegangen, dass die Pyramide religiösen Zwecken diente. Welchem Gott die Sonnenpyramide geweiht war, ist noch nicht gesichert. Heute existieren keine Malereien mehr, die die Verehrung eines bestimmten Gottes belegen könnten; es wurde lediglich ein Gefäß mit einer Abbildung des „Sturmgottes“ (oft mit dem späteren aztekischen Gott Tlaloc identifiziert) gefunden, was aber allein ebenfalls kein stichhaltiger Beweis dafür ist, dass dieser Gott hier auch verehrt wurde.
Die Kunsthistorikerin Esther Pasztory von der amerikanischen Columbia University bringt die Pyramide dennoch mit einer bestimmten Gottheit in Verbindung, der „Großen Göttin“.[6] Von ihr existieren einige Abbildungen, die darauf deuten, dass sie eine Fruchtbarkeitsgöttin war. In einigen Fällen wird sie darauf auch mit Höhlen in Verbindung gebracht. Pasztorys Annahme beruht nun auf der Häufigkeit von Abbildungen der Großen Göttin und der daraus resultierenden großen Bedeutung und auf der Interpretation der Höhle als typisch weibliches Symbol.
Mondpyramide
Die am nördlichen Ende der Straße der Toten gelegene Mondpyramide entstand rund ein Jahrhundert nach der Sonnenpyramide. Bei einer Grundfläche von 120 mal 150 Metern erreicht sie eine Höhe von 46 Metern. Obwohl sie damit eigentlich kleiner ist als die Sonnenpyramide, liegt ihre Spitze mit der Spitze der Sonnenpyramide ungefähr auf gleicher Höhe, da die Mondpyramide auf einer kleinen Erhebung liegt. Anders als die Sonnenpyramide entstand sie in mehreren Etappen. Die früheste Mondpyramide wurde um 100 nach Christus errichtet, bis 350 folgten insgesamt sieben Bauphasen. Grabungen unter der Pyramide brachten mehrere Kammern zum Vorschein, in denen sich menschliche Überreste fanden.
Esther Pasztory vermutet, dass die Mondpyramide dem „Sturmgott“ geweiht war, einer Gottheit, die laut Pasztory für Krieg und Opfer, aber auch für politische Belange zuständig war. Die Pyramide sei an diesem erhöhten Platz errichtet worden, weil sie dort von praktisch jedem Punkt in der Stadt aus sichtbar war. Mit der Architektur der Pyramide sollte demnach das Volk auch darauf hingewiesen werden, dass die Stadt als Ganzes eine „Festung der Ordnung“ inmitten der chaotischen und ungeordneten Natur darstellte.
Ciudadela
Die Ciudadela war vermutlich eine höfische Anlage oder ein Palast, vergleichbar der Verbotenen Stadt in Peking. Die umgebenden Mauern haben eine Seitenlänge von rund vierhundert Metern und schirmen das Innere weitgehend von Blicken von außen ab. Zentrum der Anlage bildet ein Gebäudekomplex, bestehend aus Wohnanlagen sowie dem in der Mitte gelegenen Tempel des Quetzalcoatl, der „Gefiederten Schlange“. Die Ciudadela war nur über einen kleinen Eingang an der zur Straße der Toten gewandten Frontseite zu erreichen. Der Platz im Inneren kann nach Ansicht von George L. Cowgill einhunderttausend Menschen Platz bieten und könnte dementsprechend für kultische Zwecke benutzt worden sein.
Besonders der Tempel hat immer wieder das Interesse der Archäologen erweckt. Er hat eine Seitenlänge von 65 mal 65 Metern und ist im tablero-talud-Stil errichtet. Der Bau des Tempels fand im Wesentlichen in drei Phasen statt. Die erste Phase bestand aus einem kleineren Gebäude, das mit der zweiten Phase überbaut wurde. In der zweiten Phase entstand die heutige Pyramide, zeitgleich mit der Ciudadela nach 200 nach Christus. Später fügte man in der dritten Phase eine plataforma adosada hinzu, wie sie auch die anderen großen Pyramiden besitzen. Jedoch ist aufgrund der Skulpturierung hier eindeutig zu sehen, dass die Pyramide dem Gott Quetzalcoatl geweiht war. An der Frontseite befinden sich zahlreiche Skulpturen, die den Kopf einer gefiederten Schlange darstellen. Es existieren aber noch weitere Darstellungen von anders geformten Köpfen, die bislang noch nicht exakt zugeordnet werden konnten. Die heute gängigste Interpretation dieser anderen Kopfskulpturen besteht in der Annahme, es handele sich dabei um eine Darstellung von Köpfen eines noch unbestimmten Wesens mit Kopfschmuck. Diese Köpfe liegen auf dem Körper der gefiederten Schlange.
Da Quetzalcóatl auf späteren Codices auch als Abendstern auftaucht, ist es zudem möglich, dass mit der Pyramide auch dem Planeten Venus gehuldigt wurde. Dafür sprechen auch die Ausmaße der Ciudadela als Ganzes, denn mit der Teotihuacán Measurement Unit (TMU; Erklärung im Abschnitt Wissenschaft) gemessen ist eine Seite der die Ciudadela umgebenden Mauer rund 484 TMU lang; eine Zahl, die fast genau der Anzahl der Tage im Venuszyklus entspricht, an denen der Planet als Morgen- oder Abendstern am Himmel zu sehen ist.
Darüber hinaus wurden in mehreren Ausgrabungsphasen immer wieder Gräber mit menschlichen Überresten gefunden. Die Gräber enthielten Opferbeigaben, doch waren einige zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung bereits von Grabräubern geplündert worden.
Apartment-Compounds
Die Apartment-Compounds sind Wohnkomplexe, die ab der Tlamimilolpa-Phase erbaut wurden und zu dieser Zeit die älteren Wohnhäuser aus Adobe ablösten. Bis zur frühen Xolalpan-Phase errichteten die Bewohner wahrscheinlich rund 2200 Compounds von unterschiedlicher Größe. In der Regel besaß ein Compound eine Seitenlänge von fünfzig bis sechzig Metern und war aus Stein, in seltenen Fällen auch aus Adobe, gemauert und verputzt. Diese rechteckigen Komplexe waren von einer mehrere Meter hohen Mauer umgeben und besaßen nur einen Eingang. Im Inneren gab es viele in Gruppen („Apartments“) angeordnete Räume, Höfe und Gänge und zusätzlich noch mindestens eine Tempelplattform. Nach den Schätzungen von René Millon wurden die Apartment-Compounds von mindestens sechzig, vermutlich aber durchschnittlich einhundert Menschen oder mehr bewohnt.
Jeder Compound wurde nach einem bestimmten Plan in einem Baugang errichtet und jahrhundertelang bewohnt; bei Reparaturen wurde nur selten etwas an der ursprünglichen Anlage verändert. Da sich hinsichtlich Ausstattung und Ausmaßen zum Teil recht große Unterschiede ergeben, scheinen die Compounds von verschiedenen gesellschaftlichen Schichten bewohnt gewesen zu sein. Es wurde anhand dessen versucht, eine gesellschaftliche Ordnung zu rekonstruieren. Besonders in den niederen Schichten kam es so etwa vor, dass Räume auch für handwerkliche Zwecke genutzt wurden. Die Apartment-Compounds waren außerdem in Vierteln („Barrios“) organisiert, die die nächsthöhere Organisationsform darstellten.